„Für die Nutzung erneuerbarer Energien ist es entscheidend, die Energieflüsse sowohl im Stromnetz als auch im Haus intelligent zu steuern.“
Die geplante Mobilitätswende in Verbindung mit der Energiewende stellt nicht nur unsere Stromnetze vor Herausforderungen. Wie kann eine flächendeckende Ladeinfrastruktur geschaffen werden – und welche Rolle spielt Photovoltaik dabei?
Dario Burghof, Produktmanager Elektromobilität & Wallbox und Max Taiber, Produktmanager Elektromobilität & Wallbox bei SENEC, sprechen im Interview über das Laden mit PV-Strom, smarte Wallboxen und das allgegenwärtige Thema bidirektionales Laden.
Max und Dario, rund 50 Millionen Pkw sind in Deutschland unterwegs – rund 1,4 Millionen davon rein elektrisch. Wenn bald alle Pkw elektrisch fahren, woher kommt dann der Strom, um all diese Fahrzeuge sicher und flexibel zu laden?
Dario: Mit dem Ausbau der Ladeinfrastruktur müssen wir auch die Stromnetze in Deutschland ausbauen, sodass sie in der Lage sind, die benötigte Leistung zu transportieren. Gleichzeitig muss auch der Ausbau der erneuerbaren Energien weiter vorangetrieben werden, um den steigenden Strombedarf bestmöglich aus Photovoltaik oder Windenergie decken zu können.
Dabei spielt die Ladeinfrastruktur zuhause eine wichtige Rolle: Gerade die Verbindung aus eigener Wallbox und Photovoltaikanlage spart nicht nur Geld, sondern entlastet auch die öffentlichen Netze, weil der selbst erzeugten Strom erst gar nicht eingespeist, sondern direkt zuhause getankt wird.
Max: Problematisch ist aktuell nicht unbedingt die verfügbare Energiemenge, sondern die Leistung, die zu bestimmten Zeiten nicht zur Verfügung steht. Hier bietet ein intelligentes Energiemanagement im Netz und insbesondere bei den Endverbraucher*innen zuhause ein enormes Verschiebungspotenzial.
Verbrauchsspitzen, die wir in dieser Höhe nicht abdecken können, verschieben wir damit in Zeiten, in denen wir ein Überangebot an Photovoltaik- oder Windstrom haben.
Die Notwendigkeit der Lastverschiebung wird umso größer, je höher der Anteil erneuerbarer Energien im Netz wird.
Max: Sowohl Angebot als auch Nachfrage werden sich deutlich flexibilisieren. Auf der Angebotsseite werden die variablen Stromtarife zunehmen. Der Spread, also die Differenz zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Marktpreis, wird wachsen, da mit einem steigenden Anteil erneuerbarer Energien im Netz auch die Erzeugungsspitzen nach oben und nach unten immer größer werden.
An diese Ertrags- und Preisschwankungen muss sich die Verbrauchsseite anpassen – beispielsweise mit einem intelligenten Heim-Energiemanagementsystem (HEMS) in Kombination mit smarten Wallboxen oder mit anderen großen Verbrauchern wie Wärmepumpenheizungen im Haus.
Laden mit Solarstrom steht auch im Fokus des staatlichen Förderprogramms KfW 442, das nach nur einem Tag ausgeschöpft war. Warum war neben Photovoltaikanlage, Speicher und Wallbox auch ein integriertes Energiemanagementsystem explizit Teil der Förderrichtlinie?
Dario: Bei der Nutzung erneuerbarer Energien müssen wir die Energieflüsse sowohl im Stromnetz als auch im Haus intelligent steuern. So können wir zum Beispiel mit einem dynamischen Stromtarif das E-Auto bewusst dann laden, wenn das Stromangebot im Netz hoch ist und bei geringem Angebot den Ladevorgang pausieren.
Ein Energiemanagementsystem ermöglicht aber auch die optimierte Nutzung des PV-Stroms im eigenen Haushalt, indem es den Strombedarf der großen Verbraucher so steuert, dass der selbst erzeugte Strom bestmöglich auch selbst genutzt wird.
Wird das solaroptimierte Laden aktiviert, richtet sich der Ladevorgang nach dem aktuellen Solar-Überschuss, der übrig bleibt, wenn der Haushalt mit Strom versorgt ist. So kann man den PV-Überschuss nutzen, um das Elektroauto quasi kostenlos und unabhängig vom öffentlichen Netz mit dem selbsterzeugten Strom zu laden. Verbraucher*innen können dabei jederzeit selbst entscheiden, ob sie ihr Auto solaroptimiert oder so schnell wie möglich mit Netzstrom laden möchten.
Das kostenlose Laden des eigenen Solar-Überschusses klingt verlockend – aber wie funktioniert das im Winter und in den Übergangsjahreszeiten, wenn die Anlage geringere Erträge liefert?
Max: Laut Norm müssen wir mit der Wallbox mindestens 6 Ampère vorgeben, um ein Auto überhaupt laden zu können. Das hat den Hintergrund, dass die fahrzeugseitig verbauten Wechselrichter bei geringeren Energieströmen nicht effizient arbeiten. Bei einer dreiphasig angeschlossenen Wallbox bedeutet das, dass im Normalfall mindestens 4,1 kW PV-Überschuss vorhanden sein müssen, um das Auto mit reinem Solarstrom zu laden.
Um diese relativ hohe Schwelle zu senken, bietet SENEC eine moderne Wallbox an, die die automatische 1-/3-Phasenumschaltung beherrscht. Das heißt, von den drei Phasen, mit denen die Wallbox üblicherweise angeschlossen ist, können zwei Phasen weggeschaltet werden. So dritteln wir die Einschaltschwelle und brauchen statt 4,1 kW nur noch 1,4 kW Überschuss aus der Photovoltaikanlage.
Wenn die Strommenge beim dreiphasigen Laden unter die Grenze fällt, schaltet die Wallbox automatisch auf einphasigen Betrieb um. Dafür wird der Ladevorgang für einen kurzen Zeitraum pausiert. Kommt die Strommenge auch im einphasigen Bereich an die Grenze, wird der Ladevorgang der Wallbox pausiert, bis wieder ausreichend Solarüberschuss vorhanden ist.
Durch die automatische Phasen-Umschaltung können wir noch mehr vom PV-Überschuss nutzen – nicht nur in den Wintermonaten und in der Übergangsjahreszeit, sondern auch im Sommerhalbjahr während der Morgen- und Abendstunden.
Trotz allem müssen E-Auto-Fahrer*innen im Winter aber vermutlich trotzdem aus dem Netz hinzuladen, oder?
Dario: Ja, das ist richtig. Über das Jahr gesehen wird von Mitte des Frühlings bis Mitte Herbst das solaroptimierte Laden das dominierende Verfahren sein, während man in den Wintermonaten nicht ganz ohne Netzbezug auskommt.
Doch gerade in den Zeiten sehr geringer PV-Erzeugung kommen die Vorteile variabler Stromtarife besonders zur Geltung. Hier ist ein gutes Energiemanagementsystem in Verbindung mit einem Smart Meter wichtig. Denn im Winter, wenn das ausschließliche Laden mit Solarstrom möglicherweise nicht ausreicht, ermöglicht ein dynamischer Tarif, das Auto genau dann günstig zu laden, wenn beispielsweise viel Windstrom im Netz ist.
Zusätzlich zu dynamischen Tarifen, die in den nächsten Jahren deutlich an Bedeutung gewinnen werden, bietet die SENEC.Cloud die Möglichkeit, die überschüssige PV-Produktion im Sommer auf einem virtuellen Stromkonto zu speichern und so den selbsterzeugten Strom mit in den Winter zu nehmen.
Im Rahmen der KfW-Förderung 442 gibt es einen „Innovationsbonus“ für Wallboxen, die bidirektionales Laden unterstützen. Sollten alle neu installierten Wallboxen am besten bidirektional sein?
Dario: Die Idee vom bidirektionalen Laden ist grundsätzlich gut. In der Praxis stoßen wir allerdings noch an gewisse Grenzen. Denn um aktiv am Strommarkt teilzunehmen, muss das E-Auto ständig an die Wallbox angeschlossen sein. Gerade bei berufstätigen Menschen ist das Auto aber tagsüber häufig unterwegs und damit gar nicht in der Lage, zusätzlich zum solaroptimierten Laden noch weitere Energie aufzunehmen – hier wird eine intelligente Kombination des bidirektionalen Fahrzeugs mit einem Stromspeicher zum Einsatz kommen.
Zudem geben viele Automobilhersteller das bidirektionale Laden noch nicht im vollen Umfang frei. Die Beschaffenheit der Traktionsbatterie und die Ladeelektronik eines E-Autos sind nicht darauf ausgelegt, dass man ständig geringe Ströme be- und entlädt. Die zusätzlichen Ladezyklen lassen die Batterien und die Elektronik der Fahrzeuge zusätzlich vorzeitig altern. Daher beschränken die OEMs das bidirektionale Laden bisher.
Grundsätzlich ist das E-Auto sicher eine gute Ergänzung zum Heimspeicher. Da das Auto aber auf ein ganz anderes Nutzungsprofil ausgelegt ist als stationäre Speicher, wird es ihn vermutlich niemals ganz ersetzen können.
Gibt es noch andere Herausforderungen, abgesehen von den technischen Voraussetzungen?
Dario: Die bidirektionale Kommunikation zwischen Wallbox und E-Fahrzeug ist noch nicht so weit flächendeckend standardisiert, dass auch jedes Fahrzeug, das man an die Wallbox anschließt, bidirektional mit dieser kommuniziert und dabei alle relevanten Informationen übermittelt werden. Das ist aber eine Voraussetzung – denn wenn ich den Ladestand des E-Autos nicht kenne, weiß ich auch nicht, wie viel Speicherkapazität ich nutzen kann, um PV-Strom zwischenzuspeichern. Es gibt Labor- und Feldversuche, die zeigen, dass die Technik grundsätzlich funktioniert. Aber häufig klappt es eben nur für eine bestimmte Kombination aus E-Auto und Wallbox.
Zu guter Letzt gibt es aktuell keinen Netzbetreiber in Deutschland, der den Anschluss von bidirektionalen Wallboxen überhaupt zulässt. Nach der derzeitigen Definition wird das Auto mit dem bidirektionalen Laden zu einer Erzeugungsanlage. Normativ gelten hier ganz andere Richtlinien als bei einer normalen Wallbox, mit der man Strom aus dem Netz bezieht. Für eine flächendeckende Nutzung von bidirektionalem Laden müssen daher zunächst geltende Richtlinien für den Netz- und Anlagenschutz aktualisiert werden.
Mit dem bidirektionalen Laden ergeben sich also ganz neue Erzeugungs- und Verbrauchsszenarien, als man es bisher von der Wallbox gewohnt ist?
Max: Da die gleichen Regularien gelten wie für Erzeugungsanlagen, wird es für Endkund*innen unnötig kompliziert. Eine Photovoltaikanlage wird als ortsfeste Anlage installiert. Das heißt, der Wechselrichter wird immer unter nahezu gleichen Bedingungen und gemäß den Anforderungen des lokalen Netzbetreibers betrieben.
Beim E-Fahrzeug haben wir es mit einer mobilen Erzeugungsanlage zu tun, die mal hier lädt oder entlädt und mal dort. Nach der aktuellen Definition müsste das E-Auto an jedem Punkt und bei jedem Netzbetreiber die unterschiedlichen Netzanschlussbedingungen erfüllen und das auch nachweisen können. Bei rund 700.000 Netzbetreibern in Deutschland ist das aktuell eine schier unlösbare Aufgabe.
Die Definition als Erzeugungsanlage macht das Thema so komplex, dass die Umsetzung nicht attraktiv ist. Hier wäre der richtige Weg, eine flächendeckend einheitliche Regulatorik zu schaffen und die Definition des Fahrzeugs nicht an eine Erzeugungsanlage, sondern eher an einen Heimspeicher anzugleichen.
Dario: Ein weiteres Beispiel für neue Nutzungsszenarien: Private PV-Anlagen sind EEG-umlagebefreit, weil sie 100 % Grünstrom erzeugen bzw. einspeisen. Wenn man mit dem E-Auto unterwegs nun den ganz normalen Strommix lädt und diesen dann zuhause einspeist, dann kommt sogenannter Graustrom dazu. Damit wäre die Erzeugungsanlage zuhause keine reine Grünstromanlage mehr und würde die EEG-Umlagebefreiung verlieren. Diese Themen können regulatorisch gelöst werden – aber man muss sie jetzt angehen.
Abgesehen vom regulatorischen Rahmen: Was muss aus eurer Sicht passieren, damit sich noch mehr Menschen fürs E-Auto – idealerweise in Kombination mit Photovoltaik – entscheiden?
Max: Zum einen brauchen wir eine reale Bepreisung von Energieträgern. Ohne die derzeitige starke Subventionierung würden Diesel und Benzin teurer werden und einen zusätzlichen Anreiz in Richtung erneuerbare Energien geben. Natürlich ist es gesellschaftlich problematisch, wenn einfach nur alles teurer wird. Deswegen braucht es gleichzeitig gezielte Maßnahmen zur Strompreissenkung.
Viele E-Auto-Fahrer*innen, die hauptsächlich an der öffentlichen Ladeinfrastruktur laden, empfinden das Laden als relativ teuer. Das liegt daran, dass die Netze nicht ausreichend ausgebaut sind. Oft braucht es erst eine Netzertüchtigung, um an einer bestimmten Stelle eine Ladestation zu bauen, und das lässt die Kosten für den Ladestrom steigen.
Wir sehen ja, dass die Erneuerbaren bedeutend günstiger sind als fossile Energieträger. Aber weil wir solchen Themen wie Netzausbau lange verschlafen haben, müssen wir das jetzt nachholen.
Dario: Die Menschen möchten ohne Komfortverlust überall laden können und am besten in fünf Minuten tausend Kilometer Reichweite nachtanken, so wie sie es vom konventionellen Verbrenner kennen. Daher ist entscheidend, dass auch das Schnellladenetz weiter ausgebaut wird, damit man innerhalb weniger Minuten die nächste Ladesäule erreicht.
Mit einer entsprechenden Ladeleistung, sodass man – und das funktioniert ja schon – innerhalb von weniger als einer halben Stunde von 20 % auf 80 % laden kann.
Vielleicht braucht es auch ein gewisses Umdenken bei den Menschen. Im Schnitt fährt man in Deutschland um die 30 Kilometer am Tag. Braucht man dann wirklich ein E-Auto mit 1.000 km Reichweite, damit man ein- oder zweimal im Jahr in den Urlaub fahren kann?
Vielleicht kann man gerade für diese Fahrten einfach eine halbe Stunde länger einplanen und einen Stopp mehr einlegen, um das E-Auto nachzuladen. Das würde die Komplexität und die Gesamtkosten für das E-Fahrzeug deutlich reduzieren und die Ökobilanz des E-Autos weiter verbessern.
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